17.10.2024
Erl

Probenbeginn bei den Passionsspielen Erl

Regisseur Martin Leutgeb versammelt seine Spieler:innen

Sie haben sich viel vorgenommen: Über 500 Spieler:innen sollen bei den Passionsspielen Erl in einer circa dreistündigen Inszenierung von Martin Leutgeb die Leidensgeschichte Jesu Christi auf die Bühne bringen. Über den vergangenen Sommer wurde bereits in kleinen Gruppen am Text gearbeitet, nun starten zeitnah die szenischen Proben.
    Die Hardfacts im Überblick
  • Aufführungen von Mai bis Oktober 2025
  • Im Erler Passionsspielhaus mit über 1.500 Sitzplätzen
  • Dreistündige Neuinszenierung von Martin Leutgeb
  • Über 500 Laiendarsteller:innen auf der Bühne
  • Eine über 400 Jahre alte Tradition

„Nichts ist fix, bis Jesus ans Kreuz genagelt wird“, formuliert es Martin Leutgeb während der Proben salopp. Die Stimmung ist spürbar gut bei dem zugewandten Regisseur, der in Tirol und ganz Österreich als begabter Schauspieler in Film und Fernsehen bekannt ist. Viel gespielt wird auch während der Proben mit den Laiendarsteller:innen in Erl: Es ist ein Ausprobieren, ein „Anprobieren“ verschiedener Ausdrucksformen, das schließlich zum Ziel führen soll.

Gemeinsame Arbeit an der Rolle

„Wir möchten emotional berühren und begeistern“, formuliert es Peter Esterl, der als Spielleiter für die Besetzung verantwortlich ist. Im engen Austausch mit Martin Leutgeb hat er die Schauspieler:innen ausgewählt, die jetzt hinter schwarzen Stehpulten stehen und den Text mal mehr, mal weniger auswendig zu Gehör bringen. „Nicht so laut! Klarer! Die Konsonanten schauen wir uns noch an“, lauten die kritischen, aber stets wohlwollenden Kommentare des Regisseurs.

Martin Leutgeb ist es gewohnt, mit Laiendarsteller:innen zu arbeiten, wobei „Laien“ den Erler Passionsspieler:innen kaum gerecht wird. Die meisten der Anwesenden stehen seit Kindesbeinen auf der Bühne. Wie Peter Esterl haben sie die klassischen Stationen durchlaufen: Sie waren Teil des Volkes, junge Römer oder Apostel, bevor sie zum Hohen Rat aufstiegen oder andere größere Rollen übertragen bekamen. Die besondere Fähigkeit der Erler liegt darin sich auf immer wieder andere Anweisungen der Regie einzulassen und in der jahrtausendealten Geschichte stets Neues zu entdecken. Martin Leutgeb hat in diesem Fall auch die Neufassung des Textes geschrieben, hält Peter Esterl fest: „Dadurch, dass er den Text selbst verfasst hat, weiß er zu 100 Prozent, was er bei jedem Satz will. Das ist ein großer Vorteil für uns Spieler:innen.“

Proben unter dem Dach des Passionsspielhauses

In den vergangenen Wochen hat Martin Leutgeb bereits in kleinen Gruppen den Text mit den Darsteller:innen durchgearbeitet. Jetzt wird tatsächlich probiert: Im Stehen, so sind die Spieler:innen freier ihr Pult zu verlassen, wann auch immer sie wollen. Noch eine Besonderheit zeichnet die Probenarbeit in Erl aus: Geprobt wird zum aktuellen Zeitpunkt immer in doppelter Besetzung. Da stehen sich im Probenraum unter dem Dach des Passionsspielhauses zwei Pontius Pilatus, zwei Kaiphas und zwei Annas gegenüber. Immer abwechselnd arbeiten sie an der Rolle. Und der Regisseur wechselt stets die Perspektive, lässt sich auf jede:n Einzelne:n ein und versteht es den besonderen Charakter der einzelnen Spieler:innen herauszuarbeiten.

Bis zur Premiere im Mai bleibt noch Zeit und trotzdem ist der frühe Probenstart von großer Bedeutung für den Passionsspielverein. Alle Spieler:innen gehen ihren Berufen nach, haben Familien – die Probenarbeit dominiert die Abende und Wochenenden. „Es zeichnet die Erler Bevölkerung aus, dass sie sich über einen so langen Zeitraum der Passion verschreibt“, fasst Peter Esterl zusammen: „Erl ist ein kleiner Ort, aber durch die Passionsspiele entsteht ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Die gesamte Dorfgemeinschaft arbeitet während des Passionsspieljahres zusammen – Alt und Jung, Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen. Das schafft eine besondere Atmosphäre, in der alle zusammen etwas Großes auf die Beine stellen.“

 

 

„emotional berühren und begeistern“

Spielleiter Peter Esterl im Interview

 

Peter Esterl ist seit Jahrzehnten eine feste Größe der Erler Passionsspiele. Bereits 1979, im Alter von fünf Jahren, stand er das erste Mal auf der Bühne. Seine erste Sprechrolle folgte schon bald, und im Laufe der Jahre schlüpfte er in verschiedene Rollen: Vom römischen Soldaten über den Apostel bis hin zum Hohen Rat. 2013 übernahm er als Ersatz den Kaiphas und spielte die Rolle 2019 fest. Auch bei den kommenden Passionsspielen wird er wieder als Kaiphas zu sehen sein – und er übernimmt erneut die verantwortungsvolle Rolle des Spielleiters. Im persönlichen Gespräch erzählt er von seiner besonderen Aufgabe als Bindeglied zwischen Regie und Spieler:innen.

 

Was ist die Aufgabe des Spielleiters?

Die Aufgabe des Spielleiters ist es zuerst, die Sprechrollen zu besetzen. Ein Regisseur, der von außen kommt, kennt die Darsteller:innen nicht. Bei den nächsten Passionsspielen haben wir wieder etwa 500 Laiendarsteller:innen und über 80 Sprechrollen zu besetzen. Der Regisseur kann da nicht selbst die Leute suchen, deshalb muss ich einen Pool an Schauspieler:innen bereitstellen, die bereits vorausgewählt sind. Bevor der Regisseur mit den Proben beginnt, hat er schon eine Auswahl an Schauspieler:innen zur Verfügung, mit denen er arbeiten kann.

Wie stimmst du dich mit der Regie ab?

Ich habe mich im Vorfeld mit Martin Leutgeb besprochen, um herauszufinden, wie er die einzelnen Charaktere sieht – wie alt sie sein sollen, welches Aussehen sie haben sollten. Aufgrund dieser Vorgaben habe ich dann die Besetzung vorgenommen. Nachdem die Besetzung steht, präsentiere ich diese dem Komitee. Falls es Rückfragen gibt, kann sich jeder einbringen. Ich erkläre dann, warum ich bestimmte Personen für die jeweiligen Rollen besetzt habe, und schließlich wird das Ganze vom Komitee abgesegnet. Danach kann mit der Arbeit begonnen werden.

Woher weißt du, was man den Spieler:innen zutrauen kann?

Da ich als Lehrer tätig bin, kenne ich viele der jüngeren Leute schon aus der Schule. Das hilft enorm, denn ich kann recht gut einschätzen, ob die Leute gerne auf der Bühne stehen. Zudem leite ich zusammen mit einer Kollegin die Theatergruppe an der Schule, wo ich ebenfalls sehe, wer ein gutes Auftreten hat. In Erl mit seinen 1500 Einwohnern kennt man sich einfach gut und das erleichtert die Einschätzung, was die Leute schauspielerisch leisten können.

Warum habt ihr euch für Doppelbesetzungen entschieden?

Wir haben neun Hauptrollen doppelt besetzt. Das machen wir, weil es zu riskant wäre, die gesamte Verantwortung auf nur eine Person zu legen. Zwischen den Proben und den Aufführungen vergeht viel Zeit, und es wäre schwierig, diese große Belastung allein zu tragen. Zudem gibt es immer die Möglichkeit, dass sich jemand verletzt oder krank wird. In solchen Fällen müssten wir innerhalb kürzester Zeit Ersatz finden, und das wäre ohne Doppelbesetzung kaum zu schaffen. Außerdem ist es eine großartige Gelegenheit für die erfahrenen und die jüngeren Spieler:innen voneinander zu lernen. Ein junger Schauspieler kann von den älteren sehr viel lernen, während sich die Älteren von ihrer Dynamik und Frische inspirieren lassen können – eine klassische Win-Win-Situation. 

Was braucht es, um ein guter Spielleiter zu sein?

Man muss eine enge Verbindung zur Passion haben und von dem ganzen Projekt überzeugt sein. Dazu gehören organisatorisches Talent und ein gewisses diplomatisches Geschick im Umgang mit den Menschen. Außerdem ist es wichtig, fest in der Dorfgemeinschaft verwurzelt zu sein und die Zeit zu haben, sich voll auf die Aufgabe zu konzentrieren. Als Lehrer habe ich den Vorteil, dass ich mir meine Zeit gut einteilen kann. Dadurch habe ich die nötige Flexibilität für die Passion zu arbeiten.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Martin Leutgeb?

Martin Leutgeb ist ein sehr zugänglicher und sensibler Mensch. Er hat ein unglaubliches Gespür für die Menschen und schafft es, uns zu fordern, ohne uns zu überfordern. Sein Feedback ist immer positiv, und er motiviert die Spieler:innen sehr gut. Ich habe nur positive Rückmeldungen von den Darsteller:innen bekommen, dass sie gerne mit ihm zusammenarbeiten.

Wann beginnen die Proben?

Dieses Mal haben wir schon im Juli mit den Textproben für die Jesus-Darsteller begonnen. Ab Oktober starten wir mit den szenischen Proben in kleineren Gruppen. Dabei geht es zunächst noch nicht um das Spiel auf der Bühne, sondern darum, die Szenen richtig einzuüben und die Texte gut zu sprechen. Im Januar beginnen dann die Bühnenproben.

Wie viel Freiheit haben die Spieler:innen bei der Gestaltung der Rollen?

Martin hat eine klare Vorstellung von den Szenen, aber er ist offen für Vorschläge der Spieler:innen. Oft hängt das auch von der Ausstrahlung des Schauspielers ab. Zwei unterschiedliche Darsteller werden eine Rolle wie die des Kaiphas oder des Jesus ganz anders spielen, weil sie unterschiedliche Persönlichkeiten mitbringen. Martin lässt solche Unterschiede zu und passt die Szenen, wenn nötig, an den jeweiligen Spieler an.

Was macht die Passionsspiele in Erl so besonders?

Die Passionsspiele sind der zentrale Punkt, der das Dorf zusammenhält. Erl ist ein kleiner Ort, aber durch die Passionsspiele entsteht ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Die gesamte Dorfgemeinschaft arbeitet während des Passionsspieljahres zusammen – Alt und Jung, Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen. Das schafft eine besondere Atmosphäre, in der alle gleich viel wert sind und zusammen etwas Großes auf die Beine stellen.

Was zeichnet die Passion in Erl aus?

Die Passion hat in Erl eine lange Tradition, die Geschichte bleibt immer gleich, aber jede Inszenierung bringt neue Aspekte hervor. Der Regisseur hat alle Freiheiten bei der Gestaltung der Schwerpunkte, und das macht die Passion jedes Mal zu einem einzigartigen Erlebnis. Obwohl es ein religiöses Stück ist, richtet es sich an alle Menschen, unabhängig von ihrem Glauben. Es soll niemand bekehrt werden, sondern die Geschichte soll emotional berühren und zum Nachdenken anregen – und das gelingt uns immer wieder.

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